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Themenbeitrag

Torben Hvidsten

Fokus auf den menschlichen Faktor

Investitionen in moderne Energietechnik oder Wärmedämmung verfehlen die prognostizierte Einsparwirkung, wenn es nicht gelingt, das Verbrauchsverhalten der Wohnungsnutzer zu ändern. Mit der App „Cards“ zeigt die noventic Tochter KeepFocus in einem Kopenhagener Vorort, wie sich der Rebound-Effekt verhindern lässt.

Der Blick auf den kleinen Bildschirm an ihrer Wohnungstür ist für Susanne Nielsen inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Informationen, die sie dabei erhält, haben ihr Verhalten im Umgang mit Energie und Wasser grundlegend geändert. „Ich schaue fast täglich auf den Screen“, sagt die 62-jährige. „Und ich achte viel genauer darauf, wieviel ich heize oder dusche. Schließlich bin ich diejenige, die dafür bezahlt.“

Nielsen ist eine von 367 Mietern der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Maglelund im Kopenhagener Vorort Brøndby Strand, die seit Anfang 2017 die neue Technik nutzen können. Die App „Cards“, die über den 11-Zoll-Bildschirm abrufbar ist, hat die dänische noventic Tochter KeepFocus entwickelt. Sie liefert den Bewohnern auf dem kleinen Screen neben der Tür nicht nur ihre aktuellen Verbrauchsdaten, sondern vergleicht diese mit dem eigenen Verbrauch in der Vergangenheit oder dem Durchschnittsverbrauch in der Nachbarschaft und bietet weitere Informationen.

„Die reinen Daten zum Energie- oder Wasserverbrauch wären allein nicht so spannend, deshalb versorgen wir die Nutzer von ,Cards‘ mit weitere Inhalten, die für sie relevant sind“, erklärt Mark Blumenkranz, der als User Experience Project Manager bei KeepFocus an der Entwicklung der App beteiligt ist. Das Unternehmen aus dem jütländischen Silkeborg verfügt über langjährige Erfahrung mit dem Sammeln und Verarbeiten großer Datenmengen von Zählern und Sensoren. Der Ausbau der datenbasierten Messinfrastruktur mit dem Smart Metering eröffnet der dänischen noventic Tochter neue Wege, um mit ihren Produkten und Services die Wohnungswirtschaft beim Einsparen von Wasser und Energie zu unterstützen. Im Unterschied zu vielen etablierten Anbietern bietet KeepFocus offene und mobile Systeme an, die der Kunde mit den technologischen Plattformen seiner Wahl verbinden kann.

Intelligente digitale Lösungen für den Klimaschutz in Dänemark

Damit gehört KeepFocus zu den Innovationsführern in Dänemark, das weltweit eine Vorreiterrolle im Kampf für mehr Klimaschutz einnimmt. Auf dem Weg zum hundertprozentigen Einsatz regenerativer Energien bis 2050 hat sich das Land ehrgeizige Ziele gesteckt, an denen sich auch die Bestandshalter auf dem Immobilienmarkt orientieren müssen. Auf 55 Prozent soll der Anteil der Erneuerbaren bis 2030 steigen, bereits 2020 muss der Bruttoenergieverbrauch um 12 Prozent niedriger liegen als 2006. Im Gebäudesektor setzt Dänemark auf effiziente Lösungen mit Nah- und Fernwärme. Schon seit 2013 ist der Einbau von Öl- und Erdgasheizungen in Neubauten verboten, seit 2016 gilt dies auch für Bestandsgebäude. Der sparsame Umgang mit Energie mit Hilfe intelligenter Lösungen bei Verbrauchsmessung und Energiemanagement ist für die dänische Wohnungswirtschaft daher längst eine entscheidende Voraussetzung für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.

Torben Hvidsten Mark Blumenkranz
Torben Hvidsten, Bo-Vest & Mark Blumenkranz, KeepFocus

Rebound-Effekt ist regelmäßig zu beobachten

Nachhaltiges Energiesparen im Immobiliensektor lässt sich allerdings nur umsetzen, wenn auch die Menschen, die in den Gebäuden wohnen, involviert werden – das gilt auch, wenn etwa im Rahmen einer energetischen Sanierung gedämmt und die Heizungsanlage erneuert wird. Regelmäßig sind danach sogenannte Rebound-Effekte zu beobachten: Bewohner ändern ihr Verhalten, weil sie nach der Modernisierung von einem effizienteren Energieeinsatz ausgehen, und erhöhen ihren Verbrauch – zum Beispiel, indem sie wenig genutzte Räume stärker heizen oder Fenster länger geöffnet lassen. Der Rebound-Effekt kann dazu führen, dass die Sanierung die erhoffte Wirkung verfehlt. Studien belegen, dass die Einsparungen um bis zu 30 Prozent geringer ausfallen können als prognostiziert. Visuelle Anwendungen wie „Cards“ können helfen, das Bewusstsein für den eigenen Verbrauch zu schärfen und somit dem Rebound Effekt entgegen zu wirken.

„Cards“ bietet verschiedene Anreize für Nutzer

Um möglichst viele Anlässe zu schaffen, „Cards“ regelmäßig zu nutzen, haben die Entwickler schon bei der Konzeption der Software darauf geachtet, unterschiedliche Anreize zu bieten, um den Bildschirm an der Wohnungstür einzuschalten. Über die verschiedenen „Karten“, die der App ihren Namen gegeben haben, können neben den Verbrauchsdaten etwa Nahverkehrsfahrpläne, der örtliche Wetterbericht oder Informationen der Hausverwaltung abgerufen werden.

„Den eigenen Verbrauch zu kontrollieren, um Geld zu sparen, ist nicht die einzige Motivation, regelmäßig auf den Screen zu schauen“, sagt Blumenkranz. Der Vergleich mit dem Durchschnittsverbrauch der Nachbarschaft oder die Übersicht über die eigenen Sparerfolge der vergangenen Monate spornt zusätzlich an. Manche Mieter sind ökologisch engagiert und bereit, ihren Verbrauch von Energie und Wasser zu überprüfen, wenn sie mehr über die positive Wirkung ihrer Anstrengungen für den Klimaschutz erfahren. Die regelmäßig erneuerten Tipps zum sparsamen Heizen, Waschen oder Duschen bieten immer neue Anlässe, einen Blick auf den Bildschirm zu werfen und regt so zum regelmäßigen Einsatz der App an. „Mit unserem Fokus auf die Motivationen der Nutzer unterscheiden wir uns vom Wettbewerb“, sagt Blumenkranz. Das Wissen über die unterschiedlichen Interessen und Beweggründe sei entscheidend: „Wer den menschlichen Faktor außer Acht lässt, kann nicht wirkungsvoll Energie einsparen.“

In Maglelund hatte der mit Mietervertretern besetze Beirat der gemeinnützig organisierten Wohnungsbaugesellschaft beschlossen, die Screens mit „Cards“ zu installieren, nachdem mit dem Einbau intelligenter Heizungswärme- und Wasserzählern die Voraussetzungen dafür geschaffen waren. Das Smart Metering ermöglicht eine individuelle Zuordnung des Verbrauchs, die zuvor nicht möglich war.

Digitalisierung Energiewirtschaft noventic group
„Cards“ auf dem Tür-Display in der Wohnung von Susanne Nielsen

Überraschung bei der Jahresabrechnung

„Normalerweise sehen wir nach Installationen von intelligenten Zählern Rückgänge des Verbrauchs, die im Bereich von 15 Prozent liegen“, sagt Projektleiter Torben Hvidsten von der Immobilienverwaltung Bo-Vest, die rund 40 Wohnquartiere in ganz Dänemark betreut. In Maglelund sind im Vergleich zum Jahr vor der Sanierung der Wasserleitungen, dem Einbau intelligenter Zähler und der Bildschirme mit „Cards“ inzwischen Einsparungen von rund 20 Prozent der Heizenergie und gut 24 Prozent beim Wasser zu verbuchen. „Nachdem die erste Jahresabrechnung deutlich gemacht hat, wieviel sich bei aufmerksamem Verbrauch einsparen lässt, wird das Interesse an den Screens in diesem Jahr noch zunehmen“, ist Hvidsten überzeugt.

Mit „Cards“ bietet die Wohnungsbaugesellschaft den Nutzern ihrer Wohnungen nicht nur eine wirkungsvolle Hilfestellung beim Energiesparen. Sie erhöht mit der Möglichkeit, Mietnebenkosten durch einen kontrollierten Energie- und Wasserverbrauch deutlich zu senken, auch die Attraktivität der Wohnungen am Markt. Und sie hat sich über die kleinen Bildschirme an den Wohnungstüren einen zusätzlichen Kanal zu Kommunikation mit den Mietern eröffnet, der Ihnen erlaubt Handwerkerbesuche oder andere Quartiersnachrichten einfach zu versenden. Zudem trägt „Cards“ dazu bei, die Bausubstanz zu schützen: Die regelmäßige Messung der Luftqualität macht es der Wohnungsverwaltung möglich, die Mieter frühzeitig vor Schimmelgefahr oder vor Legionellen zu warnen, falls die Luftfeuchtigkeit in den Räumen zu hoch ist oder die Wasserhähne lange nicht aufgedreht wurden.

„Wir sind mit den Ergebnissen sehr zufrieden“, lautet die Bilanz von Hvidsten. Immerhin läge das Durchschnittsalter der Bewohner in Maglelund bei über 65 Jahren, es habe daher Zeit gebraucht, die Wohnungsnutzer einzuweisen und sie mit der neuen Technik vertraut zu machen. Dass inzwischen rund ein Fünftel der Mieter mindestens einmal in der Woche die App nutzt, wertet der Immobilienverwalter als Erfolg.

Bei KeepFocus mag man sich damit noch nicht zufriedengeben. Die Entwicklung von „Cards“ wird in Silkeborg weiter vorangetrieben. „Unser Ziel ist es, die App individueller auf die Bedürfnisse und Interessen der Mieter einzustellen und noch gezieltere Antworten zu liefern“, sagt Blumenkranz. „Die Nutzung von Cards soll ein ganz selbstverständlicher Teil des Tagesablaufs werden.“

Bei Susanne Nielsen ist dies schon gelungen. Der regelmäßige Verbrauchsvergleich habe ihr Bewusstsein geschärft und die Tipps aus der App hätten ihr geholfen, mit Heizung und Wasser sparsamer umzugehen, sagt sie. So brachte die erste Jahresabrechnung der Mietnebenkosten nach der Einführung von „Cards“ eine positive Überraschung: Fast 4.000 dänische Kronen wurden Nielsen zurückerstattet – umgerechnet gut 670 Euro. „Das ist ein schönes Taschengeld, mit dem ich meine nächste Reise finanzieren kann“, freut sich die Mieterin aus Maglelund.