Interview
Am 1. Juli 2020 hat Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Neben dem Schwerpunktthema der Bekämpfung und Bewältigung sozioökonomischer Folgen der COVID-19-Pandemie stehen auch Themen der Immobilienwirtschaft im Fokus. Der EU-Green Deal den Rahmen für die Lösung der Probleme. Welche das sind, beantwortet RA Thies Grothe, Head of Public Affairs der noventic group im Interview.
Herr Grothe, Energiethemen spielen in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle – die Formulierung eines europäischen Klimaschutzgesetzes wird vorangetrieben. Ziel ist es, Europas Klimaneutralität bis 2050 verbindlich festzuschreiben. Ist das aus der Perspektive der Immobilienwirtschaft realisierbar?
Deutschland hat sich das ehrgeizige Ziel „klimaneutraler Gebäudebestand“ 2050 gesetzt, sicher ist auch die EU in der Lage das Ziel zu erreichen. In dem von der Kommission vorgelegten „EU-Green Deal“ wird es ja auch klar benannt. Damit die Immobilienwirtschaft ihren Anteil an der Zielverwirklichung leisten kann, sind Lösungen gefragt, die Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit miteinander vereinen. Die Unternehmen der noventic group setzen hier mit der Digitalisierung der Gebäudeinfrastruktur und funkenden Sensorikgeräten auf geringinvestive Maßnahmen.
Im EU-Green Deal ist für den Gebäudebestand, auf den 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU entfällt, eine „Renovierungswelle“ vorgesehen. Was ist dabei zu beachten?
In Deutschland wird erfreulicherweise immer noch und hoffentlich auch weiterhin neu, energieeffizient und qualitativ hochwertig gebaut, aber der Neubau macht dennoch höchstens 1 % des gesamten Immobilienbestands im Land aus. Viel wichtiger ist, den hohen Anteil an Bestandsgebäuden energieeffizient umzugestalten, das ist folglich die große Herausforderung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, was so auch die EU anerkennt. Der EU-Green Deal zielt darauf ab, den Energieverbrauch von Wohnungen zu senken und somit mehr den Klimaschutz zu unterstützen. Wichtig ist: Es muss wirtschaftlich bleiben, für Vermieter und Mieter, so wie es in Deutschland das neue Gebäudeenergiegesetz in § 5 GEG klar vorschreibt.
Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung für die Immobilienwirtschaft?
Der Green Deal der EU will die Stärken der Digitalisierung für den Klimaschutz und somit auch für klimaneutrale Gebäude nutzen. Daten sind das moderne Gold – auch um Immobilien energieeffizient und komfortabel zu gestalten. Wir führen Gebäudedaten auf einer zentralen Plattform zusammen – und nutzen diese als Basis für smarte digitale Anwendungen. Energieanlagen können so effizienter gesteuert, erneuerbare Energien in die Gebäudeversorgung und in die Netze besser integriert werden und Bewohner haben jederzeit Zugriff auf Ihre Energieverbrauchsdaten – bequem von zu Hause aus, per App. Basis dafür sind funkende Sensorikgeräte, die, wie in der EED vorgeschrieben, bis 2027 in Mehrfamilienhäusern installiert werden müssen.
Auch bei der Optimierung von Stromerzeugung und- verbrauch sowie um eine optimale Integration erneuerbarer Energien in die Stromversorgung zu gewährleisten, ist die Digitalisierung entscheidend. Wie sehen Sie die Branche hier aufgestellt?
Das Stichwort lautet Smart Meter Rollout. Das Smart Meter Gateway (SMGW) ist das Herzstück der Digitalisierung der Energiewende im Gebäudesektor, für die Digitalisierung von Gebäuden. Über eine sichere, vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) zertifizierte Infrastruktur können so Gebäudedaten spartenübergreifend erfasst, zusammengeführt und für digitale Anwendungen nutzbar gemacht werden. Das SMGW dient damit sowohl der Immobilien- wie auch der Energiewirtschaft gleichermaßen, zudem auch der Gesamtgesellschaft beim Erreichen der energie- und klimapolitischen Ziele.