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Interview


Das Ziel sind 22 Prozent Energieeinsparung – aus Merparteienhäusern werden Smart Buildings

Das Thema Energiesparen hat in diesem Jahr in der breiten Bevölkerung eine neue Relevanz bekommen. Hatte man in den vergangenen Jahren meist das Gefühl, es handele sich bei Klimaschutz-Vorgaben um eine lästige Pflichtaufgabe, die es zu erfüllen galt, ist das dieses Jahr anders: Ausgelöst durch Russlands Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Versorgungs- und Energiekrise, hat das Thema deutlich an Fahrt aufgenommen.

Gefragt sind daher vor allem Lösungen, die schnell verbaut werden können, dabei wirksam und erschwinglich sind. Das Rad muss dafür nicht immer neu erfunden werden: Smarte Thermostate sind beispielsweise intuitiv bedienbare Technologien, die seit mehr als 10 Jahren erfolgreich in Einfamilienhäusern genutzt werden – und, wenn Anforderungen und Prozesse für Smart Home in der Wohnungswirtschaft berücksichtigt werden, kann aus einem Mehrparteienhaus schnell ein Smart Building machen. Dr. Dirk Then, Geschäftsführer der noventic group, erläutert im Interview, welche Möglichkeiten sich dadurch für die Klima- und Energiesparziele in Deutschlands Gebäudebestand ergeben.

Dr. Dirk Then, CEO der noventic group

Steigen wir direkt ein: Stark gestiegene Energie- und Versorgungskosten sind das Thema der Stunde, das Wohnen droht für alle Beteiligten teuer zu werden. Wie reagieren Sie auf diese Herausforderung?

Dr. Dirk Then: Privat versuche ich wie alle Menschen derzeit, mein eigenes Verbrauchsverhalten weiter zu optimieren, um Energie und Kosten einzusparen. Als CEO der noventic group komme ich hierbei in Berührung mit neuesten Technologien. Schon deutlich vor der aktuellen Versorgungskrise, seit 2021, haben wir daran gearbeitet, schnell umsetzbare, intelligente Energieeffizienzlösungen speziell für einen breiten Einsatz im großen Mietsgebäudebestand zu entwickeln. Gemeinsam mit unserer neuen Beteiligung tado° arbeiten wir an der Weiterentwicklung ihrer Smart-Home-Produkte für die Wohnungswirtschaft. Aus einem smarten Heizkörperthermostat machen wir eine intelligente, aber robuste Gesamtlösung für den Einsatz in Mehrparteienhäusern. Zugeschnitten auf die sehr unterschiedlichen Bedarfe der Bevölkerung. Dabei geht es im ersten Schritt nicht primär darum, die Wohntemperatur zu senken, sondern den Energieeinsatz für die gewünschte Wohntemperatur cleverer zu steuern. Die Klimaschutzziele des Gebäudesektors und die damit verbundenen deutlichen Energieeinsparungen können nur erreicht werden, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher mit einbezogen und für die technische Lösung gewonnen werden. Der Schritt des nachhaltigen Involvements der Menschen erfordert neue Interaktionsflächen: beispielsweise über Assistenzfunktionen oder mit Hilfe kleinerer Anreize über eine App.

Und wie genau funktioniert das, auf was darf sich die Immobilienwirtschaft freuen?

Then: Umgangssprachlich gesagt – wir arbeiten tatsächlich an der eierlegenden Wollmilchsau. Es ist unser Ziel, eine Lösung zu erschaffen, die sich sowohl in bestehende wohnungswirtschaftliche Prozesse einfügt als auch den sehr unterschiedlichen Anforderungen der deutschen Mieterschaft gerecht wird. Startpunkt sind die smarten Thermostate von tado°. In privaten Haushalten haben wir gezeigt, dass mit Hilfe smarter Steuerung Energieeinsparungen von bis zu 31 Prozent möglich sind. Das funktioniert so gut, weil die Lösung Verbrauchstransparenz herstellt und gleichzeitig den Wohnkomfort der Nutzer verbessert – und konkrete Vorteile bietet. Voraussetzung ist eine leichte und intuitive Bedienbarkeit. So schaffen wir eine Einspar-Lösung für Mehrparteienhäuser, die Raum für vielfältige, individuelle Präferenzen lässt und damit wirtschaftliche Potenziale hebt – für Bewohnerinnen und Bewohner und die Immobilienwirtschaft. 

Haben Sie konkrete Beispiele für die genannten konkreten Vorteile?

Then: Unsere Technik weist beispielsweise Mieterinnen und Mieter auf die Gefahr von Schimmelbildung hin und schützt sie damit vor gesundheitlichen Gefahren – und die Wohnungsunternehmen gleichzeitig vor teuren Sanierungsmaßnahmen. Denn, um Verbrauchskosten zu reduzieren, sparen immer häufiger Mieterinnen und Mieter ihre Wohnung „kaputt“: Sie heizen zu wenig, wodurch die Wohnung zu stark auskühlt und die Schimmelgefahr steigt. Weitere Beispiele sind die automatische Fenster-offen-Erkennung oder raum- bzw. nutzenspezifische Heiz-Zeitpläne, die bei der Montage passend zur Raumnutzung voreingestellt sind und auch ohne App-Nutzung funktionieren. 

Verwalterinnen und Verwalter sowie Bestandshalterinnen und Bestandshalter profitieren von der Lösung als Grundlage für ein professionelles Datenmanagement, das entlastet sie beim Mieterwechsel-Prozess oder Leerstands-Management.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie die im Markt bereits erfolgreich eingesetzten Smart-Home- hin zu Smart-Building-Lösungen weiterentwickeln wollen. Was versteckt sich dahinter?

Then: Wir entwickeln eine Lösung für eine ungleich komplexere Welt als das private Einfamilienhaus. Die technischen Herausforderungen liegen insbesondere in der Notwendigkeit einer anderen Vernetzung der Geräte und einer notwendigen, aber komplexen Prozessintegration in bestehende wohnungswirtschaftliche Abläufe und Zyklen: Wir brauchen ein sicheres, energiearmes, aber stabiles Funknetz; Wir brauchen die Verzahnung von Montage-, Wartungs- und Service-Prozessen. Die Batterielaufzeit der Thermostate muss beispielsweise den fünf- oder sechsjährigen Wartungszyklen der Immobilienwirtschaft entsprechen.  Ein für die Wohnungswirtschaft neues Thema ist die unterjährigen Verbrauchsinformation: die sinnvolle Verknüpfung dieser mit der individuellen Steuerung der eigenen Heizkörper – beispielsweise in einer App – ist naheliegend.

Die Menschen, die Ihre Produkte im Alltag nutzen, sind aber auch andere, oder?

Then: Richtig. Die Bedienbarkeit der Thermostate, ob mit oder ohne App-Steuerung, muss einfach und intuitiv sein – und dabei auf den erlernten Mechaniken aufbauen, da sich die Nutzer klar von den digital affinen Smart-Home-Kunden unterscheiden. Zudem müssen die Thermostate auch deutlich robuster sein, schließlich geht man mit einem selbst angeschafften Produkt deutlich vorsichtiger um als mit einem, das zur Wohnung und damit dem Vermieter gehört.

Was ist Ihre Motivation, solch ein Produkt zu entwickeln, und welche Voraussetzungen bringen Sie dafür mit?

Then: Die Unternehmen der noventic group sind eng in der Immobilienwirtschaft verwurzelt. Wir kennen sowohl die Konsequenzen, die aus der europäischen EED oder den deutschen Klimazielen für die Wohnungswirtschaft hervorgehen, als auch die Herausforderungen und Notwendigkeiten, die mit einem professionellen Liegenschaftsmanagement einhergehen. Wir wollen einen Beitrag auf der Suche nach einer Lösung für all die daraus resultierenden Herausforderungen und die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum leisten. 

Aus den Verbrauchsdaten wissen wir, dass wir im Consumer-Bereich mit smarten Thermostaten Energieeinsparungen von im Mittel 22 Prozent schaffen – warum nicht auch in Miethaushalten? Unser Ziel ist es, dieser Zahl im Mehrparteienbereich nahezukommen. Dafür haben wir unsere Spezialisten, den Sensorikhersteller QUNDIS, den Messdienstleister KALO und den Plattform- und Software-Entwickler beyonnex.io mit der tado° zusammengebracht. Gemeinsam wollen wir eine smarte, ganzheitliche Lösung zur optimierten Steuerung von Zentralheizungssystemen in Mehrparteienhäusern entwickeln.

Wie ist der aktuelle Stand und was sind die nächsten Schritte?

Then: Aktuell statten wir Liegenschaften innovationsfreudiger Wohnungsunternehmen – kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsunternehmen, aber auch große Verwalter – in Deutschland im Rahmen von Leuchtturmprojekten mit smarten Thermostaten aus. Damit wollen wir die Effektivität unserer Geräte in der Fläche und die Akzeptanz der Mieterhaushalte erproben. Die Ergebnisse aus dieser Phase werden wir im ersten Halbjahr 2023 vorstellen. Mit dem Rollout starten wir dann in der zweiten Jahreshälfte 2023.

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