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Interview

„Kein Tropfen auf den heißen Stein“

CO₂-Reduzierung im Gebäudebestand: Interview mit Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kunibert Lennerts

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Kunibert Lennerts ist Leiter des Instituts Technologie und Management im Baubetrieb / Professur Facility Management am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und geschäftsführender Gesellschafter des auf Nachhaltigkeit spezialisierten Ingenieurbüros ikl GmbH. Im Interview spricht er über die Bedeutung einer langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie, die Wichtigkeit kurzfristiger Maßnahmen und das Thema Ganzheitlichkeit.

Herr Prof. Dr. Lennerts, Nachhaltigkeit ist seit Jahren das Thema der Branche. Jetzt ist sie, auch bedingt durch die Energiekrise, zum Handeln gezwungen. Warum tut sich die Branche damit augenscheinlich so schwer?

Prof. Dr. Lennerts: Zunächst einmal wird unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ häufig die Einsparung von Energie im Gebäudebetrieb verstanden. Damit einhergehend werden dann häufig die klassischen Gebäudeenergiestandards im Neubaubereich genannt. Das sind zum Beispiel die KfW Effizienzhäuser sowie Null- oder Plus-Energiehäuser.

Die Nachhaltigkeit geht aber weit über die reine Energieeffizienz hinaus. Es geht bei der Nachhaltigkeit grob gesprochen darum, Aspekte der Ökonomie, der Ökologie und sozio-kulturelle Aspekte miteinander zu verzahnen. Neben weiteren ökologischen Aspekten wie der Förderung von Biodiversität, der Reduzierung des Trinkwasserbedarfs oder der Schadstofffreiheit der eigesetzten Bauprodukte müssen nachhaltige Gebäude auch lebenswert und bezahlbar sein. Die drei Zielgrößen der Nachhaltigkeit sind interdependent, sie bedingen sich also. Je nach Maßnahme können die Wirkungen sowohl kongruent als auch, und das ist häufig der Fall, gegenläufig sein. Ein nachhaltiges Gebäude ist daher immer ein intelligent geplanter Kompromiss aus diesen unterschiedlichen Zielgrößen. Das Spannungsfeld aus anspruchsvollen regulativen Vorgaben, hoher Qualität und aktuellen Baupreisen ist für die Branche eine besondere Herausforderung.

Zur Erreichung der Klimaziele spielt im Gegensatz zu dem politisch häufig in den Fokus genommenen Neubau der Gebäudebestand eine viel größere Rolle. Daher müssen wir politisch und gesellschaftlich darauf fokussieren.

Welche Punkte sind im Rahmen einer langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie dabei besonders wichtig?

Prof. Dr. Lennerts: Beginnen wir einfach mit der Grundlage unseres Handelns. Wie erreichen wir das Temperaturziel 1,5 bzw. 2,0 Grad und das damit einhergehende Einhalten des zur Verfügung stehenden Emissionsbudget? Da der Gebäudesektor für ca. 40% des Emissionsbudgets verantwortlich ist, braucht es schnelle und großskalierbare Maßnahmen, die auch sozialverträglich sein müssen.

Umfassende Sanierungen sind teuer, langwierig und bei derzeitigem Fachkräftemangel und begrenzten Baumaterialien ein Kraftakt. Welche Möglichkeiten bleiben, um dennoch an der Stellschraube Energieeffizienz drehen zu können?

Prof. Dr. Lennerts: Wie bereits in unserer Studie „Verantwortung übernehmen - Der Gebäudebereich auf dem Weg zur Klimaneutralität" ausgeführt, benötigen wir vor allem wirkungsvolle und schnell umsetzbare Maßnahmen.

Eine kurzfristige Erhöhung der Sanierungsrate über 1% ist aufgrund der personellen und materiellen Ressourcen leider nicht realistisch. Einen schnellen und signifikanten Beitrag können neben der Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien insbesondere die Gebäudebetriebsoptimierung und die Digitalisierung liefern.

Welche Rolle spielen hierbei die Mieterinnen und Mieter?

Prof. Dr. Lennerts: Der Nutzer spielt in dem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Eine Verhaltensänderung wie wir sie aufgrund der Energiekrise im letzten Winter erleben durften, hat dies eindrücklich gezeigt. Als gängige Zahl wird häufig eine Einsparung zwischen 10 bis 30% genannt. Leider liegen dazu im Mieterbereich bisher keine fundierten Daten vor.

Die Zeit drängt im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel. Auf welchem Weg ist Deutschland derzeit?

Prof. Dr. Lennerts: Im Jahr 2020 haben wir in Deutschland 739 Mio. Tonnen CO₂ emittiert, davon ca. 40 % im Gebäudesektor (ca. 296 Mio. Tonnen). Wenn man vom deutschen Budget ab 2020 von 4,2 Mrd. Tonnen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, ebenfalls 40% dem Gebäudesektor zuordnet, bleiben diesem noch 1.680 Mio. Tonnen.

Bei gleichbleibendem Emissionsausstoß haben wir unser Emissionsbudget in Deutschland im Jahr 2026 bereits verbraucht. Da hilft uns dann leider auch keine Treibhausgasneutralität zum Stichjahr 2045 mehr. Wir brauchen kurzfristige Erfolge, damit das zur Verfügung stehende Emissionsbudget nicht schon vor dem Stichjahr emittiert ist und das Temperaturziel gerissen wird.

Eine dieser Technologien sind smarte Thermostate. Mit dem KIT haben Sie jüngst deren Wirksamkeit geprüft. Welchen Gebäudetyp hatten Sie in der näheren Betrachtung?

Prof. Dr. Lennerts: Wir haben in der letzten Heizperiode 2022/23 in einem Zeitraum von drei Monaten zwei mit smarten Thermostaten teilausgestattete Mehrparteienhäuser mit einem nicht ausgestatteten vergleichbaren Mehrparteienhaus verglichen . Alle drei Gebäude sind im Baujahr 1972 entstanden und aus der Energieeffizienzklasse D. In dieser Energieklasse befinden sich derzeit 19 % aller Mehrfamilienhäuser in Deutschland, womit diese einen signifikanten Anteil an den Treibhausgasemissionen haben.

KIT-Studie: Energieeinsparpotenzial für Mieter durch den Einsatz Smarter Heizkörperthermostate

Mehr über die Studie erfahren

Warum haben Sie die Gebäude nicht vollausgestattet?

Prof. Dr. Lennerts: Es ist schlichtweg nicht einfach, die Mieterinnen und Mieter zu überzeugen, mitzumachen – auch im Rahmen einer Studie, die für sie kostenlos ist. Es gibt z.B. die Sorge, dass die neue Technologie auch im privaten Raum eine neue Komplexität und Kontrolle bringt. Zum Teil sind es aber auch ganz banale Gründe, dass die Menschen, beispielsweise Senioren über 80, kein eigenes Smartphone besitzen oder – für unseren Versuchsaufbau relevant – über keinen eigenen Internetzugang verfügen.

Was waren die zentralen Ergebnisse Ihrer Studie mit den smarten Thermostaten?

Prof. Dr. Lennerts: Die teilausgestatteten Häuser erzielten im Versuchszeitraum eine Heizenergieeinsparung von 21 % gegenüber dem Referenzobjekt, also dem nicht ausgestatteten Mehrfamilienhaus. Wenn wir jetzt hypothetisch annehmen, die Mehrfamilienhäuser wären vollausgestattet gewesen, hätten wir sogar eine Ersparnis von 31,5 % gegenüber dem nicht ausgestatteten erreicht. Verglichen mit den klimabereinigten Verbräuchen der letzten fünf Jahren, weist die Studie für die ausgestatteten Wohnungen eine Einsparung von 15,5 % aus. Wir bewegen uns also bei den Einsparungen in einem Bereich zwischen 15,5% im Vergleich der Wohnungen mit den Vorjahren und bis 31,5% im Vergleich mit dem Referenzobjekt und dies mit einer kostengünstigen minimal invasiven Maßnahme. Besser kann man den Euro für die Erreichung der Emissionsziele nicht einsetzen.

Frank Wattendorff, Mieter

Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?

Prof. Dr. Lennerts: Der Einsatz von Smarten Heizkörperthermostaten ist eine kostengünstige und schnell wirksame Maßnahme. Die Technik ist einfach zu installieren und zu bedienen und in großem Maßstab skalierbar. Natürlich sind für das Gesamtziel Gebäudesanierungen weiterhin notwendig, aber sie dauern aufgrund der bereits aufgezeigten Rahmenbedingungen zu lange. Intelligente Thermostate sind also kein Tropfen auf den heißen Stein, sondern bei breiter Anwendung eine Sturzflut.

Welche Technologien könnten darüber hinaus unterstützen?

Prof. Dr. Lennerts:

Die Digitalisierung aller Immobiliencluster, also auch der Nichtwohngebäude, muss weiter vorangetrieben werden. Gebäude, auch Bestandsgebäude, müssen intelligenzfähiger gemacht werden, um den Gebäudebetreib weiter zu optimieren.

Zur Bewertung der Intelligenzfähigkeit eines Gebäudes bietet sich der Smart Readiness Indicator (SRI) der EU an. An meinem Lehrstuhl entwickeln wir gerade in einem Forschungsprojet mit 11 Firmen aus der Immobilien- und Facility Management-Branche einen deutschen Standard hierzu. Auch da gibt es bereits Studien, die bei Anwendung des SRI ein großes Energieeinsparpotential aufzeigen.

Daneben brauchen wir dringend eine Deutsche Datenbank der Energieeffizienzklasse aller Gebäude und ihrer Materialien, um unsere weiteren Schritte besser zu planen und die Zielerreichung zu messen.

Kann man demnach behaupten, dass Digitalisierung der Schlüssel ist? Welchen Nachholbedarf hätte die Branche Ihrer Meinung nach noch in diesem Umfeld?

Prof. Dr. Lennerts: Eindeutig ja. Und es macht einem schon ein wenig zornig, dass wir in Deutschland, wenn es um die Digitalisierung geht, immer die rote Laterne in Europa anpeilen. Wir müssen da einfach besser werden.

 Herr Prof. Dr. Lennerts, herzlichen Dank für das informative Gespräch.

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Thomas Ahlborn

Head of Corporate Marketing, noventic group

Seit 2013 ist Thomas Ahlborn in unterschiedlichen Positionen für die Unternehmen der noventic group tätig – mit einem thematischen Fokus auf neue Versorgungskonzepte für Quartiere und Gebäude.

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